Ethno-Marketing und die Entdeckung der „Frau mit Kopftuch“!

Deutschland entdeckt das Ethno-Marketing

Während den Recherchen für eine wissenschaftlichen Arbeit, die sich mit der Thematik des Ethno-Marketings beschäftigt, stieß ich (wieder mal) auf ein altbekanntes Plakat der Immowelt AG. Es scheint in der Tat unmöglich, NICHT über dieses Plakat zu stoplern, wenn man den Begriff „Ethno-Marketing“ googelt. Jedenfalls scheint es ein Synonym für alle Hausarbeiten der Welt geworden zu sein, wenn es um das Thema des Ethnomarketings geht. 😉

Frau mit Kopftuch auf Immowelt Plakat

Bevor ich aber auf Fakten eingehe, sollte ich zuvor ein paar Begrifflichkeiten klären, so zum Beispiel die Definition dieser wunderbar unkomplizierten Wortgebilde wie „Deutsche mit Migrationshintergrund“ oder „Ausländer“. Denn den meisten unter uns ist auf Anhieb gar nicht ganz klar, welche Personen mit welchem Hintergrund welcher Gruppe angehören. Da wird mal schnell mit dem Wort „Ausländer“ um sich geworfen, und als Indikator die Haarfarbe festgemacht. 😉 Die Definitionen stammen aus den Ergebnissen des Mikrozensus 2010, veröffentlicht am 26. September 2011 vom Statistischen Bundesamt. (Beim Mikrozensus handelt es sich um die jährliche, stichprobenartige Befragung von etwa einem Prozent der Bevölkerung, die ein umfassenderes Fragen- und Merkmalsprogramm beinhaltet, BTW.)

Bevölkerung mit Migrationshintergrund (Quellen: Statsistisches Bundesamt)

Der Begriff drückt aus, dass sich Migration nicht nur auf die Betrachtung der Zuwanderer selbst – d.h. die eigentlichen Migranten – beziehen soll, sondern auch bestimmte ihrer in Deutschland geborenen Nachkommen einschließen muss. Allerdings sind sich die verschiedenen Quellen nicht einig, ob alle Zuwanderer und alle Nachkommen einzubeziehen, oder wenn nicht, welche Kriterien zur Abgrenzung der Einzubeziehenden heranzuziehen sind.

  1. Bei der Bestimmung des Migrationshintergrunds wird nur die Zuwanderung auf das Gebiet der heutigen Bundesrepublik ab 1950 berücksichtigt. Zuwanderung vor 1950 betraf die kriegsbedingte Vertreibung während des und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
  2. Bei der Bestimmung des Migrationshintergrunds werden auch die Nachkommen der Zuwanderer berücksichtigt, die bereits in der Bundesrepublik geboren sind.
  3. Bei der Bestimmung des Migrationshintergrunds wird darauf verzichtet, die Bevölkerung mit Migrationshintergrund vollständig nach der Generationenfolge gegliedert nachzuweisen. Stattdessen wird lediglich zwischen Zuwanderern (1. Generation) und in Deutschland Geborenen (2. Generation und höher) unterschieden.

Ausländer (Quellen: Wikipedia)

Ausländer werden Personengruppen bezeichnet, die sich hinsichtlich der Staatsangehörigkeit von anderen Einwohnern des Landes, aus deren Perspektive die Betrachtung erfolgt (in unserem Fall Deutschland), unterscheiden. Eine Person (aus Sicht des betreffenden Inlandes, in unserem Fall Deutschland) ist genau dann kein Ausländer, wenn sie keine Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzt. Bedeutet: In Deutschland sind Ausländer also jene Personen ohne die deutsche Staatsbürgerschaft.

Nunja, das hört sich ja nun einfach an. Tatsächlich ist es aber so, dass eine scharfe Trennung innerhalb der Gruppe der „Deutschen mit Migrationshintergrund“ nicht so ohne weiteres stattfinden kann, denn die Frage, die sich stellt ist die, ob ein Ausländer tatsächlich erst durch die deutsche Staatsangehörigkeit zum Deutschen mutiert. Wie verhält es sich bspw. mit Türken der zweiten, dritten Generation, die kulturell noch teilweise türkisch einzuordnen sind, aber gar keine eigene Migrationserfahrung haben UND womöglich schon den deutschen Pass. Rechtlich Deutsche, ursprünglich Türken, mental irgendwas dazwischen… Das Statistische Bundesamt dröselt dies nun weiter auf, aber wir geben uns jetzt mal mit der Definition dieser beiden Begriffe ab und kommen zu den Facts.

Ethnische Gruppe der Türken in Deutschland… Die Fakten

  • Gesamtbevölkerung in Deutschland 2010: 81,7 Millionen Personen
  • Personen mit Migrationshintergrund in Dt. (unabh.von der Nationalität): 15,7 Millionen Personen
  • Ausländer in Dt. (unabh.von der Nationalität):  7,1 Millionen Personen
  • Türkischstämmige Menschen: 2.485.000 Personen
    • Davon sind 771.449 Personen Deutsche
    • und 1.713.551 Personen Ausländer

Soviel also zu den Türken in Deutschland, ob nun Türke auf Papier oder Türke im Herzen… diese Fakten lassen das deutsch-türkische Statistikerherz jedenfalls höher schlagen. Und sie machen eines klar: Die türkische Zielgruppe, ob nun mit oder ohne eigenen Migrationshintergrund, ob nun mit oder ohne deutschem Pass ist mittlerweile durchaus relevant in den Deutschen Landen. Geprägt durch Einflüsse zweier Kulturen und in der Mehrheit vielleicht nicht assimilierten, aber rudimentär bis sehr integrierten Masse, bildet diese Zielgruppe durchaus auch eine potentielle Käuferschaft von „Migranten-Produkten“, angefangen von dem Bagdad Schafskäse in den REWE Regalen, bis hin zu Statussymbolen wie die „Firma mit dem Stern“, also Mercedes! 😉

Einige Unternehmen erkennen dies bereits, besonders in der kurzen Vergangenheit (2011 ist das Jahr des Ethno-Marketings)… Da wird seit neuestem ein besonders bekanntes türkisches Nationalgetränk (Yeni Raki, s.o.) im deutschen Fernsehen zelebriert oder eine türkische Telefongesellschaften plakatiert die Königstraße in Stuttgart (Bild)… um nur 2 aktuelle Beispiele zu nennen. Allen gemein ist die Entdeckung der Deutsch-Türken und deren gesunde Kaufkraft und überdurchschnittliche Kaufbereitschaft, wenn es um türkisch anmutende Produkte geht. In Zahlen bedeutet dies, dass der Anteil der unter 30-jährigen etwas über 50% der in Deutschland lebenden Deutsch-Türken beträgt, sie etwa eine jährliche Kaufkraft von 20 Milliarden Euro aufbringen und mit einem durchschnittlichen Einkommen von etwas mehr als 2.120 Euro eine durchaus potentielle Käuferschaft ergeben.

Traditionsbewusst

Als größte Gruppe der ethnischen Minderheiten in Deutschland besitzen die Deutschtürken trotz 50-jähriger Migrationsgeschichte eine ausgesprochen große Affinität zu traditionell verankerten Werten. So bilden sie in der Mehrheit noch immer eine fest in ihren Wurzeln verankerte Community. Traditionelle Normen, wie beispielsweise die noch immer gelebte Geschlechterrollenverteilung, Familienzugehörigkeit, Anerkennungsbedürfnisse, etc. sind trotz aller Integrationsversuche und -maßnahmen fester Bestandteil des deutsch-türkischen Alltags. Auch vereint sie – im Gegensatz zu anderen ethnischen Gruppen – zusätzlich der religiöse Aspekt, der in seinem Ursprung völlig konträr zu der christlichen Auslegung des Lebens ist. Kein Schweinefleisch, koschere Schlachtung, die Frage der Legitimität von Alkoholgenuss… alles Punkte, mit denen sich ein Deutscher zwar aus Überzeugung auseinandersetzen kann, ein Deutsch-Türke aber auseinandersetzen MUSS. Verhaltensmuster, Werte- und Moralvorstellungen, Relgiöse Überschneidungen, Sprachbarrieren… all diese generieren eine Zielgruppe der ganz besonderen Art, welche auch ganz besonders behandelt werden muss.

Kommen wir wieder zurück zu unserem Plakat. Bei all der Theorie… wie reagiert denn nun eigentlich die angesprochene Zielgruppe selbst auf dieses Bild? Im Rahmen dieses Artikels bat ich meine Mutter, ein paar ihrer Freundinnen zusammenzutrommeln und während eines Teekränzchens ihre Meinungen über die Wirkung dieses Plakates kund zu tun. Vom Alter her bewegten sich die Damen zwischen 30 und 51 Jahren… Das Ergebnis war mehr als interessant, denn fast einhellig fühlten sich die Damen von diesem Plakat zwar nicht repräsentiert, aber durchaus angesprochen. Ihnen gefiel der Gedanke der spezifizierten Werbung. Eine Frau mit Kopftuch auf einem Plakat einer deutschen Firma? Grandios! „Wir werden ernst genommen!“, war die Tonalität der Aussagen.

Ob die Kampagne der immowelt erfolgreich war, weiss ich nicht, aber zumindest war sie nun Gesprächsthema bei den Freundinnen meiner Mutter. Und allen ist die Company zumindest JETZT ein Begriff… sollten sie mal eine Wohnung suchen, wird das sicher einer der ersten Seiten sein, die ihnen in den Sinn kommen wird. 😉

Ethno-Marketing hat Zukunft… let’s do something in turkish. 😉 So, wie die Targo-Bank: Bankadas, die etwas anderen Kampagne!

Und noch eines… Ethno-Marketing hin oder her… Istanbul mutiert gerade zum „Place2Be“ auch in ganz unethnischen Marketingmaßnahmen… Coco Channel, BMW, James Bond… alle treffen sie sich in einer der schönsten Städte der Welt. 😉

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